Fünf Tage Jerusalem

Michael Conrad war von Jerusalem sehr begeistert. (Foto: Michael Conrad)

Michael Conrad hat im März an einem Halbmarathon in Jerusalem teilgenommen und berichtet von einer unbeschreiblichen Erfahrung. Eine schöne Geschichte gerade zur jetzigen Osterzeit.
Vor einigen Jahren kam mir die Idee, meine Lauffreude mit dem Eintauchen in die Stadt in den judäischen Bergen, den Stätten von Altem und Neuem Testament, des Islam zu verbinden. Ich möchte am Jerusalem-Marathon teilnehmen und dabei den Halbmarathon bestreiten – 21 Kilometer vor einmaligem Hintergrund. Als ich Mitte März aufbreche, um diese Idee wahr werden zu lassen, mache ich mich bereit, einzutauchen. Einzutauchen in die Begegnung mit Kulturen und Menschen, Historie und Aktualität, Geschichte und Moderne. So genieße ich nach meiner Ankunft am ersten Abend im Viertel rund um den Markt Mahane Yehuda das Treiben, die Vielfalt der Menschen, ihre ansteckende fröhliche Stimmung. Ich bin bereit! Am Morgen wache ich gewohnt früh auf. Ich beschließe, das Frühstück im Hotel gegen die Morgenstimmung an der Grabeskirche, den Gang nach Golgatha zu tauschen. Der Weg dahin birgt ganz irdische Hindernisse: Es ist nicht einfach, ohne Sprach- und ohne Schriftkenntnisse eine Fahrkarte für die Straßenbahn zu lösen. Ich entdecke den kleinen Hinweis „English“ und das Meer hebräischer Schriftzeichen löst sich auf. Es kann losgehen. Und in der Tat: kurz nach acht erlebe ich den Platz vor der Grabeskirche fast menschenleer. Er lädt ein, zu verweilen. Ich setze mich auf die Stufen, genieße die Ruhe. Mit dieser Ruhe ist es vorbei, als ich die Kirche betrete. Auf Golgatha, der „Schädelstätte“, der Stelle der Kreuzigung Jesu wird eine orthodoxe Andacht gehalten. Liturgische Gesänge, Weihrauch, inbrünstige Gebete. Überraschend und intensiv. Ich kehre zurück nach Mahade Yehuda, besuche den berühmten Markt, den „Shuk“, lasse mich treiben. Die Sonne scheint. So viele Aromen, Farben, Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, ein buntes Treiben, eine tolle, lebendige Atmosphäre. In den Cafés des Marktes hole ich das Frühstück nach. Was für ein Auftakt in „mein“ Jerusalem! Nach einem inspirierenden Treffen mit Freunden im Hotel bringt mich der Nachmittag wieder in die Altstadt und auf den Berg Zion. Ich erlebe 3.000 Jahre Geschichte, Stätten der Menschheit. Um das Grab König Davids liegt eine Synagoge. Freundlich empfängt mich ein älterer Jude. Ich erlebe – wie so oft – keine Berührungsängste und sage leise „toda“ (Danke). Eine Holocaustgedenkstätte sowie der Zugang zum Grab Oskar Schindlers sind leider verschlossen. Dennoch: Am Eingang halte ich inne. Oskar Schindler, Gerechter unter den Völkern. Kein Vergessen, nie wieder, wir sind mehr! Der Saal des ersten Abendmahls, dieser Geburtsort der Christenheit, ist von schöner Schlichtheit. Aufgefüllt von Besucherströmen aus aller Welt. Nur wenig später stehe ich vor der Klagemauer, der Western Wall des zerstörten Tempels, Zentrum des Judentums. Darüber erhebt sich majestätisch die Goldene Kuppel des Felsendoms, eine der heiligsten Stätten des Islams. Der Platz liegt friedlich, intensive Quelle allen Glaubens. Schalom Yerushalayim! Salam al-Quds! Am nächsten Tag stoße ich beim Frühstück zu meiner Laufgruppe. Ein sympathisches Team von 21 Läufern und vier Begleitpersonen um Reiseleiter Nils. Freundliche, fröhliche Stimmung, eine gespannte, erwartungsvolle Atmosphäre vor dem Wettkampf. Ein erster Ausflug mit unserer Fremdenführerin Dina bringt uns auf den Ölberg. Nach dem Blick über die Stadt gehen wir zu Fuß bergab zum Garten Gethsemane. Der Gang bringt eine besondere Erfahrung: Es regnet aus allen Richtungen nur nicht von oben, ein kalter Wind pfeift. Wir sind klitschnass. Aber es lohnt: Gethsemane, von Gat-Schmanim – Ölpresse ist ein Ort besonderer Ausstrahlung. Alte Olivenbäume mit Blick auf das nun verschlossene Goldene Tor, durch das Jesus Palmsonntag die Stadt betreten haben soll. In der Kirche der Nationen finden wir die Stätten des Gebets voller Angst, des Verrats, der Verhaftung Jesu. Der Ort fesselt irgendwie. Am Ausgang liegen Olivenzweige zum Mitnehmen, ein schönes Andenken. Zurück in der Altstadt bringt uns der Gang über die Via Dolorosa und durch die verschiedenen Viertel. Moslems, Juden, Christen, Armenier haben ihre Bereiche mit eigenem Flair. Römer und andere haben Spuren hinterlassen. Vielfältiges Jerusalem. Freitag, Lauftag! Wegen des anstehenden Sabbats startet der Lauf früh. Das heißt: 4.30 Uhr aufstehen, leichtes Frühstück, parat machen. Um 6 Uhr Abmarsch zum Startplatz im Sacher Park nahe der Knesset. Bereits eine Dreiviertelstunde später startet der Halbmarathon. Die Sonne kämpft sich durch, die Nässe auf den Straßen verdampft. Es wird warm, es wird ein herrlicher Tag! Los geht’s. Ich genieße den Lauf, das Umfeld, die Atmosphäre. Mein Traum wird wahr. Wir laufen vom Sacher Park Richtung Altstadt. Es geht hinauf zum Jaffa Tor. Oben auf den Zinnen der Stadtmauer winkt ein grüner Vogel, am Rand stehen Clowns, klatschen uns ab. Wir laufen durch das armenische Viertel, zum Zionstor geht es wieder hinaus, weiter durch die Stadt. Was für ein Ambiente. Das hier irgendwo tatsächlich eine Gruppe Dormagener steht und anfeuert, ahne ich nicht. Das Terrain ist hügelig. Es geht ständig auf und ab. Es zehrt, es schmerzt. Ich werde langsamer. Es ist mir egal. Die Stimmung an der Strecke ist großartig. Ich laufe in Jerusalem! Lang und zäh zieht sich die Zielgerade fast drei Kilometer bergauf. Das ist nicht fair, verlängert aber das Erlebnis. Am Ende bin ich geschafft, habe es geschafft und bin happy. Nachmittags treffen wir uns in der Lobby. Die Anspannung ist gewichen. Wir sind im Ziel, tauschen Eindrücke und Emotionen, strahlende Gesichter. Fröhlich schlendern wir nochmals durch die Altstadt. Gehen zur Klagemauer, Erleben das Treiben auf dem Platz. Und wir erleben, wie sich der Sabbat langsam und feierlich über die Stadt legt. Die Straßenbahn fährt nicht mehr, der Lift im Hotel fährt jetzt ununterbrochen. Die Kaffeemaschine ist stillgelegt. Feuer machen ist nicht erlaubt an Sabbat. Auch das ist Jerusalem. Ein letzter Ausflug führt uns auch durch die West Bank, zeigt die Besonderheiten und die Zerbrechlichkeit des Landes, der Region. Eine Mauer trennt die Gebiete. Bedrückend, das zu sehen. Dann ist es Zeit, Abschied zu nehmen von Jerusalem. Von dieser vielfältigen Stadt, den Kulturen, den Menschen, Emotionen und Inspiration. Ich habe ein friedliches fröhliches Jerusalem erlebt. Das wünsche ich den Menschen hier, der Stadt, der Region. Schalom, salam! Und ich sage danke. Danke Nils und Deinem Team für Lebenslust und perfekte Organisation. Danke Dina für Deine herzliche Art und Führungen durch Stadt und Land, Gespräche über Besonderheiten der Menschen und ihre Gefühle. Und danke, Jerusalem! Du warst ein Geschenk.