Als Bürgermeister Erik Lierenfeld und Wirtschaftsförderungschef Michael Bison im Oktober vergangenen Jahres öffentlichkeitswirksam die Baugenehmigung an der B 9 an den Immobilienentwickler Gazeley übergaben, da gab es dazu keine nennenswerten Rückmeldungen. Auf dem 64.000 Quadratmeter großen Areal mit einer Lagerhalle, die mehr als 32.700 Quadratmeter groß ist, siedelte sich im September diesen Jahres ein Logistiker an. Denen eilt der Ruf voraus, dass sie in der Regel viel Fläche verbrauchen, aber wenig neue Arbeitsplätze schaffen.
Mittlerweile ist die Katze aus dem Sack: Mieter der Großlagerhalle an der Düsseldorfer Straße ist das Online-Versandunternehmen „Amazon“, das dort mit der „Amazon VZ Rheinland GmbH“ ein Sortierzentrum betreibt. Nicht weit davon entfernt befindet sich das Aldi-Logistikzentrum. Beide verursachen viele An- und Abfahrten von Lkws und Transportern, die alle über die B 9 fahren müssen – egal in welcher Richtung und egal, ob die Bundesstraße gerade durch den Berufsverkehr ohnehin schon stark belastet ist. Ein weiteres Logistikzentrum könnte in absehbarer Zukunft am Silbersee entstehen. Dort gibt es bereits eine Absichtserklärung, ebenfalls öffentlichkeitswirksam mit dem Bürgermeister in Szene gesetzt, des Logistikers DHL. Solange es die neue Anschlussstelle an die A 57 zwischen Delrath und St. Peter nicht gibt, dürfte die B 9 weiter regelmäßig völlig überlastet sein.
Nach Angaben von „Amazon“ fahren jetzt in der Vorweihnachtszeit in drei Schichten bis zu 480 Lastwagen pro Tag das Sortierzentrum an oder von dort aus weg. Ohne das Weihnachtsgeschäft sollen es maximal 285 Lkw-Bewegungen pro Tag sein; maximal erlaubt wären tagsüber 415. Diese Zahlen gab der Bürgermeister am Ende der Stadtratssitzung am Donnerstag, 13. Dezember, bekannt. Wegen anhaltender Beschwerden der benachbarten Unternehmen, insbesondere an der Borsigstraße und am Wahler Berg, wegen parkender Lastwagen und Transporter sei mit „Amazon“ gesprochen worden. Es werden nun ein neues Verkehrskonzept erstellt, so Lierenfeld. Außerdem sei neben dem städtischen Ordnungsamt nun stündlich ein eigenes Kontrollteam des Unternehmens in den angrenzenden Straßen unterwegs. Auf Neusser Stadtgebiet habe „Amazon“ einen weiteren Lkw-Parkplatz angemietet, da der vorhandene auf dem Gelände wegen der vielen parkenden Autos der Mitarbeiter um 13 Stellplätze habe verkleinert werden müssen. Der Bürgermeister hatte sich selber am 7. Dezember vor Ort ein Bild von der Lage gemacht – und sich das Sortierzentrum, indem nach seinen Angaben etwa 50.000 Pakete pro Tag gepackt werden, zeigen lassen.
Die Kritik, die nun in der Öffentlichkeit hoch kocht, geht aber weiter: Von „Amazon“ ist allgemein bekannt, dass das Unternehmen gerne keine oder so gut wie keine Gewerbesteuer vor Ort bezahlt. Dafür stehen aber fast tagtäglich Amazon-Paketfahrzeuge in der Dormagener Innenstadt, gerne in der Fußgängerzone auch außerhalb der Lieferzeiten, um die Waren bei den Bestellern abzugeben. Im Haus daneben reibt sich der Einzelhändler überhaupt nicht amüsiert die Augen: Die Online-Konkurrenz darf einfach so frei Haus liefern, dabei auch noch falsch parken, unterstützt die örtliche Gemeinschaft aber mit (fast) keinem Cent. Da passt es ins Bild, dass es während der Bauphase des Gazeley-Areal keine einzige Information zu dem Mieter gab. An der Lagerhalle weist kein Schild darauf hin, dass dort „Amazon“ der Mieter ist. Immerhin: Mehr als 500 Arbeitsplätze soll es dort geben, so Lierenfeld in der Ratssitzung. (Oliver Baum)