Vor dem Heimspiel gestern Abend gegen den TV Emsdetten (Endergebnis 18:18; der TSV musste angesichts der vielen Verletzten mit zwei Akteuren aus der Oberliga-Mannschaft spielen, die ihre Sache gut machten) stellte sich der Handball-Geschäftsführer des TSV Bayer Dormagen, Björn Barthel, den Fragen unserer Redaktion.
Redaktion: Nach der bitteren 26:36-Niederlage in Großwallstadt, bei der der TSV ohne den erkrankten Stammkeeper Martin Juzbasic auskommen musste, sind in Sozialen Medien teilweise massive Rücktrittsforderungen in Richtung von Trainer Dusko Bilanovic zu lesen gewesen. Was halten Sie davon?
Björn Barthel: Überhaupt nichts! Schwierige Situationen lassen sich nicht mit Schuldzuweisungen lösen – und wir sind aufgrund einer Verletzungswelle in noch nie dagewesenem Umfang in einer sehr schwierigen Situation. Wir alle wollen da raus, doch das geht nur mit Geschlossenheit und hartem Arbeiten. Unser Spiel in Großwallstadt war zweifellos sehr schlecht, da gibt es auch nichts zu beschönigen. Ich habe Grundtugenden wie Aggressivität oder das gemeinsame Ankämpfen vermisst. Die Zahl der technischen Fehler war deutlich zu hoch.
Redaktion: Wie beurteilen Sie die aktuelle sportliche Lage mit dem vorletzten Tabellenplatz? Wie sehen Sie die Perspektive für den weiteren Saisonverlauf?
Barthel: Es wird zweifellos ein langer, harter Weg. Alle müssen sich darauf einstellen, dass es bis zum letzten Spieltag um den Klassenverbleib geht. Da sind die klassischen Tugenden mit viel Kampf gefragt. Wenn man zu brav auftritt, verschafft man sich auch keinen Respekt! Die neuen Verletzungen machen die ganze Lage allerdings nicht einfacher. Ian Hüter wird erneut mehrere Wochen fehlen, ich hoffe Andre Meuser ist bald wieder auf der Platte.
Redaktion: Wie ist der Stand der Dinge bei der im Raum stehenden Verpflichtung eines neuen Rückraumspielers?
Barthel: Dank der Zusage von 15 Partnern haben wir den Freiraum und die finanziellen Mittel, um noch einmal etwas auf dem Transfermarkt zu machen. Aus eigener Kraft würde dies unser Budget und die allgemeine wirtschaftliche Lage nicht zulassen. Ein weiterer Spieler ist demnach nur durch eine 100-prozentige Finanzierung unserer Sponsoren möglich. Dafür bedanke ich mich im Vorhinein. Wir sprechen von einem Rückraumspieler, mit dem wir uns prinzipiell einig sind. Das Problem ist, dass der abgebende Verein entgegen seiner ursprünglichen Haltung nun die Freigabe verweigert, da er selbst verletzungsbedingt einige Schwierigkeiten habe. Immerhin hatte der Verein eingewilligt, den Spieler an einem Probetraining in Dormagen teilnehmen zu lassen. Wir sind nahezu täglich im Austausch. Es muss ein Spieler sein, der uns wirklich helfen kann und dessen Transfer wirtschaftlich auch zu verantworten ist. Unsere möglichen Rahmenbedingungen sind nahezu jedes Jahr herausfordernd und aktuell umso mehr, da so gut wie keine geeigneten Spieler auf dem Markt sind.
Redaktion: Vor der Saison und auch während der ersten Ligaspiele gab es immer wieder Kritik daran, dass der Kader nach der Vorsaison verkleinert wurde. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?
Barthel: Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist mir zu einfach. Was wir im Moment an Verletzungs- und Krankheitspech haben, ist in keinster Weise vorherzusehen. Ja, theoretisch haben wir acht Spieler gehen lassen und einen geholt. Doch das muss man sich genauer anschauen: Von den acht Spielern zählten zwei zur Stammformation (Benni Richter und Sven Bartmann). Diese Positionen wurden mit Patryk Biernacki und Christian Simonsen neu besetzt. Von den weiteren sechs Spielern gehörte Christian Wilhelm vor allem der A-Jugend an. Die übrigen (Pascal Noll, Toni Juric, Carlos Iliopoulos, Moritz Görgen und der ausgeliehene Linus Skroblien) waren eher Ergänzungsspieler. In dieser Saison haben wir jede Position doppelt und die dritte Position teilweise mit unseren talentierten Nachwuchsspielern besetzt. Somit haben wir streng genommen einen 15er (inklusive 2 Torwarten) plus 3 Nachwuchskader und zusätzlich immer die Möglichkeit, zu den 16 Feldspielern weitere Spieler aus unserer Zweiten und der A-Jugend zu nutzen. Zum Vergleich die letzte Saison: Da hatten wir in der Rückrunde drei Torwarte – wobei Simonsen nur aufgrund der Verletzung von Martin Juzbasic vier Monate früher kam – und 15 Feldspieler plus 4 Spieler aus der A-Jugend. Hätte es mit dem Kader der letzten Saison eine vergleichbare Verletzungssituation gegeben, hätte diese genauso zu Schwierigkeiten geführt.
Redaktion: Hat das was mit den finanziellen Möglichkeiten zu tun? Der Etat liegt doch fast bei 1 Million Euro?
Barthel: In der Tat. Wir haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, alle Positionen doppelt gleichwertig zu besetzen. Mittlerweile konnten wir unseren Etat zwar auf circa 1 Million Euro erhöhen, doch in der 2. Liga gibt es nur vier bis fünf Vereine mit einem vergleichbaren Etat. Alle anderen Klubs verfügen über deutlich mehr finanzielle Möglichkeiten. Deren Etats liegen zwischen 1,5 bis zu 3 Mio. Euro. Das ist der Gradmesser, an der man auch unsere Leistung der letzten Jahre bewerten sollte. Zum Glück ist auf dem Spielfeld das Finanzielle nicht immer der ausschlaggebende Faktor. Doch wenn uns wie seit Wochen phasenweise vier bis fünf absolute Leistungsträger ausfallen, dann muss man das alles realistisch einordnen. Ja, wir sind letztes Jahr Siebter geworden. Doch daraus können wir nicht den Anspruch erheben, dass eine solche Platzierung automatisch für uns mit unseren Möglichkeiten gesetzt ist. Das heißt, wir wissen, wo wir im Vergleich mit unseren Konkurrenten stehen. Natürlich wollen wir jedes Spiel gewinnen, aber unser erklärtes Ziel lautet nun mal, möglichst schnell die Abstiegszone zu verlassen. Durch die vielen Verletzten ist dieses Unterfangen nicht einfacher geworden. Ich kann nur hoffen, dass dies alle verinnerlichen und eine etwas fairere und sachlichere Beurteilung zugrunde legen.
Redaktion: In der Zuschauertabelle der Zweiten Liga steht der TSV da, wo er derzeit auch sportlich steht, nämlich unten. Können Sie sich das erklären? Was plant der TSV, um gegenzusteuern?
Barthel: Zuerst einmal zu den Fakten: Auch vor der Corona-Pandemie gehörten wir leider nicht zu den Zuschauermagneten der 2. Liga. Alle Vereine leiden darunter, dass im Schnitt 700 bis 1000 Zuschauer weniger zu den Spielen kommen. Dabei vergleiche ich nicht die reinen Besucherzahlen, sondern die Differenz zur Vor-Corona-Zeit. Hier bewegen wir uns im Durchschnitt.
Natürlich würden wir uns freuen, wenn mehr Zuschauer live vor Ort die Mannschaft unterstützen würden. Doch größere Freikartenaktionen helfen auch nicht weiter. Denn die sind letztlich ungerecht gegenüber denjenigen, die ihre Dauerkarte oder ihr Tagesticket regelmäßig kaufen und wir haben nichts zu verschenken! Wir müssen mit Leistung überzeugen und haben die ein oder andere Aktion bei Vereinen aus der Region gestartet. Was positiv stimmt: Für das Spiel gegen TuSEM Essen sind bereits 1200 Tickets verkauft. Diesen Zuspruch würde ich mir auch gegen andere Gegner wünschen.
Redaktion: Die Zuschauereinnahmen dürften ein erheblicher Faktor in der Etatplanung sein. Die Pandemie mit all ihren Auswirkungen hat für den Etat vermutlich auch Folgen. Wie sieht die finanzielle Entwicklung für diese Saison aus? Wie sehen die Planungen für die Spielzeit danach aus?
Barthel: Ich habe bereits in der letzten Spielzeit angedeutet, dass die nun laufende Saison uns wirtschaftlich wahrscheinlich vor eine noch größere Herausforderung stellen wird. Und es ist so gekommen. In der letzten Saison konnten wir Kurzarbeit nutzen, darüber hinaus haben alle Gehaltskürzungen in Kauf genommen. Auch die Kosten wurden stark gesenkt. Dies, sowie die starke Unterstützung unserer Partner und Dauerkarteninhaber haben dazu geführt, dass wir gut durch die letzte Saison gekommen sind. Derzeit ist die Voraussetzung „Kurzarbeitergeld“ nicht gegeben. Bei unserer Gehaltsstruktur möchte ich aktuell unseren Spielern und Mitarbeitern einen erneuten Gehaltsverzicht nicht zumuten. Unsere Spieltags- und Betriebskosten sind deutlich höher gegenüber den „Geisterspielen“ der letzten Saison. Es ist davon auszugehen, dass die Rückkehr zu normalen Besucherzahlen wie vor der Corona-Pandemie noch länger dauern wird. Aus diesem Grund ist die größte Herausforderung, auch in dieser Saison wirtschaftlich durchzukommen, sodass der Spielbetrieb nachhaltig gesichert bleibt und wir auch weiterhin bei sportlicher Qualifikation die wirtschaftliche Lizenz für die 2. Liga erhalten werden.
Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch. (Oliver Baum)