Wer als Aufsteiger in der ersten Saison in der höheren Spielklasse den Klassenerhalt schafft, der wird es in der Spielzeit danach noch schwerer haben, diese Leistung zu bestätigen. Übersetzt auf den TSV Bayer bedeutet dies: Dormagen ist in der Zweiten Handball-Bundesliga, zu der in der Saison 2019/20 nur 18 Mannschaften gehören, von denen zwei direkt absteigen, während der Drittletzte eine Relegation spielt, kein Unbekannter mehr. Die Verantwortlichen, die im sportlichen Bereich in den vergangenen beiden Jahren neue Strukturen geschaffen haben, sind gut beraten, in diesem Rahmen kontinuierlich weiter zu arbeiten. Denn der Klassenerhalt, so schön er ohne Zittern an den letzten beiden Spieltagen auch war, war wahrlich kein Unterfangen, das in allen Bereichen jederzeit rund gelaufen ist.
Das fängt auf der Trainerposition an: Es ist nie schön, wenn sich ein Verein von seinem Cheftrainer trennen muss. Beim TSV ist das aber passiert und das auch noch in zwei Etappen. Erst wurde viel zu früh bekannt, dass der Ende Juni auslaufende Vertrag mit Ulli Kriebel nicht verlängert wird. Dann zogen Vorstand, Handball-Geschäftsführer und Kompetenzteam Mitte Januar die seit Monaten überfällige Notbremse. Überfällig alleine schon deshalb, weil es zwischen dem Verein und Kriebel überhaupt keine Vertrauensbasis mehr gab. Dusko Bilanovic übernahm früher als geplant. Die Vorgeschichte zeigt den ursprünglichen Fehler auf: Kriebel, der bis dahin die A-Jugend trainiert hatte, wurde zur Saison 2017/18 zum Chefcoach befördert. Dabei hat er einen Vollzeitjob, war nur in seiner Freizeit Trainer. Kurzum: Er brachte nicht die erforderlichen Voraussetzungen mit, um den TSV nicht nur in die Zweite Liga zu führen, sondern dort auch dauerhaft zu etablieren – so wie es geplant war. Dagegen steht auch nicht der Aufstieg in die Zweite Liga in der Saison 2017/18. Dormagen stieg als Zweiter letztlich nur deshalb direkt auf, weil Altenholz aus finanziellen Gründen auf die schon angesetzte Relegation verzichtete. Viele Experten sind sich einig, dass die Norddeutschen für den TSV zu stark gewesen wären. Zumal das Rückspiel in Altenholz gespielt worden wäre. Der Aufstieg war somit auch ein Geschenk am grünen Tisch.
Auch in der am Samstag, 8. Juni, mit dem 36:28-Heimsieg gegen die Vikings zu Ende gegangenen Spielzeit in der Zweiten Liga hat der Aufsteiger einiges an Glück gehabt. Das große Glück zum Beispiel, dass Ende April und Anfang Mai, als der TSV mit vier Niederlagen in Folge schwächelte, die Mannschaften dahinter kein Kapital daraus schlugen. Es ist bemerkenswert, dass die „Wiesel“ mit Bilanovic sofort aus der Abstiegszone kletterten und nie wieder in sie zurückgefallen sind. Folgerichtig hat sich diese junge und weitgehend unerfahrene Mannschaft mit ihrem neuen Trainer den Ligaverbleib sportlich redlich verdient. Es hätte aber durchaus auch anders kommen können. Wer also nur eine positive Saisonbilanz zieht, der liegt falsch. Zu dem Trainerwechsel und dem Glück, dass die Konkurrenz nicht zupackte, als es möglich war, kamen ja noch diverse vergebene Punkte. Experten rechnen den TSV Bayer auf mindestens 40 Zähler hoch, wenn er alles mitgenommen hätte, was in der Hin- und Rückrunde möglich war.
Für die Zukunft wäre dem Verein endlich einmal mehr Stabilität und Kontinuität zu wünschen. Seit dem Zwangsabstieg des DHC Rheinland in der Saison 2011/12 wurden am Höhenberg fünf Trainer engagiert, zwei davon wieder vorzeitig, aber zu spät entlassen (Jörg Bohrmann, Kriebel), zwei gingen freiwillig (Tobias Plaz, Alexander Koke). Es ging zweimal aus der Dritten in die Zweiten Liga hoch, einmal stieg Dormagen aus der Zweiten in die Dritte Liga ab. Von Ruhe und Nachhaltigkeit kaum eine Spur.
Der TSV hat in den sportlichen Strukturen vorgelegt, hat mit dem vorzeitigen Klassenerhalt, dem neuen Trainer und dem schon kompletten Kader für die nächste Saison derzeit in der Außenwahrnehmung gute Karten. Das muss sich nun aber auch auf der wirtschaftlichen Seite widerspiegeln. Vor allem bei der Akquise von neuen Sponsoren und beim Marketing gibt es nach wie vor erheblichen Aufholbedarf. Denn klar ist: Der TSV wird sich nur dann dauerhaft in der Zweiten Liga etablieren, wenn eine signifikante Etatsteigerung gelingt. Die ist zwingend erforderlich, um den Kader zukünftig weiter sinnvoll verstärken zu können. Herzlichen Glückwunsch zum Klassenerhalt und auf geht’s: Es ist noch viel zu tun! (Oliver Baum)